Kabuki
Gesichter
der Idiot
Ein Fragmentstück frei nach Dostojewskis 'Der Idiot' Work in Progress
Eine Großstadt.
Fürst Myschkin kehrt zurück.
Er glaubt. Die Anderen lachen.
Ist er ein Idiot?
Was ist Authentizität und was ist
Einbildung?
Und was braucht die Stadt, um zum überleben?
Regie:
Rebecca Shein
Schauspiel:
Rubén Bravo,
Johanna Debes,
Simona Theoharova,
Martin Weller
Musik:
Nathalie Ponneau,
Gianni Rizzo
Fotos: Florian Bensiek
Zum Stück:
Kabuki
Gesichter
der Idiot
Der Ausgangspunkt dieses Projekts war die Frage:
Worin besteht der Unterschied zwischen Authentizität und Einbildung in die eigenen Fähigkeiten?
'Der Idiot', Fürst Myschkin kehrt nach langer Abwesenheit in seine Heimatstadt zurück. Im Dostojewskis Roman ist es St. Petersburg, doch die Vorgänge, die sozialen Beziehungen und die Entwicklungen der Protagonisten könnten auch im heutigen Berlin, London, Paris oder einer anderen europäischen Großstadt spielen.
Die Großstadt, die von verschiedensten Impulsen und Kräften geformt wird, spiegelt ein klares Bild der Gesellschaft wider und deren Zeitgeist. Der gegenwärtige Zeitgeist zeigt sich in der Neigung, authentische Fähigkeiten/ Emotionen mit eingebildeten oder durch einen ökonomisch orientierten Kodex geprägten Anschauungen zu verwechseln und zu vertauschen.
Der gemeinsame Nenner, auf dem sich etwa künstlerische Gruppierungen, deren Vertreter sich gegenseitig in ihrem Mittelmaß bestätigen, geeinigt haben, ist: Wie verkaufe ich meine nicht/ wenig vorhandenen Fähigkeiten am Besten ohne mich meinem Mangel zu stellen? Wie kann ich mich so schnell wie möglich der Öffentlichkeit präsentieren mit einem mittelmäßigen Produkt meiner Arbeit, in dem ich es als Originalität anbiete? Wie finde ich den schnellsten Weg zum Erfolg mit einem Minimum an körperlich/ emotionalem/ geistigem Aufwand?
Fürst Myschkin, der vier Jahre lang unter Kindern gelebt hat, kann sich nicht in ein System einfügen, dass durch wirtschaftlich - egozentrisches Denken geprägt ist. Er hat keine „Verkaufsstrategie“ und handelt aus einem menschlich – emotionalem Impuls heraus, das ihn zu einem 'Idioten' eine desillusionierten und ausgelebten Gesellschaft macht. Der Fürst glaubt an die Menschen und an ihre Zukunft und ist bereit, diesem Glauben zu folgen und in die Tat um zu setzten, mit allen Konsequenzen. Dieses Verhalten wirft eine Bandbreite von Reaktionen seitens seiner sozialen Umgebung auf, die sich in Verehrung und Liebe, Mitleid, gönnerhaftes Wohlwollen, Zorn, Neid und auch Verachtung offenbart. Die Mehrheit der ihn umgebenden Menschen kann sich seine geistige Perspektive begrenzt oder gar nicht erklären und auch nicht als reelle Alternative in Betracht ziehen. Seine Authentizität und Ehrlichkeit erschreckt die Gesellschaft um ihn herum und wird ins Lächerliche gezogen. Welche Reaktionen erweckt die Figur Myschkins in der heutigen Zeit der selbstverständlichen und kritiklosen Aufgabe des Wunsches nach einer idealen Gesellschafts-/ Kulturform und deren Umsetzung, die zur Zeit Dostojewskis noch als eine neue gesellschaftliche Erscheinung, im Nihilismus, zu erkennen war?
Die Frage nach dem Authentischem wird weitergeführt in der Gegenüberstellung von den handelnden Personen im 1. und 3. Akt und den 'Bericht' über die „ Durchschnittsmenschen“ im 2.Akt. Die handelnden Personen des Stückes, wie Fürst Myschkin, Rogoschin, Nastasja Filippowna, Aglaja Jepantschina und Jewgenji Pawlowitsch stehen auf der Seite derjenigen, die aus einem aufrichtigen und in ihrer Situation organischem Beweggrund handeln und sprechen. Dies macht sie, jeder auf seine Art, zum 'Original'. Auf der anderen Seite befindet sich die „Masse, die in der Tat die große Mehrheit in jeder Gesellschaft ausmachen“, die „um alles in der Welt originell und selbstständig werden möchte, ohne die geringsten Mittel zur Selbstständigkeit zu besitzen.“ Diese Erscheinung durchzieht verschiedene auch gegenwärtig viele gesellschaftliche Bereiche und gewinnt besonders an Macht durch das Werkzeug der globalen Medien- und Internetlandschaft. Dadurch verbreitet sich eine Haltung der Austauschbarkeit und der geistigen Armut, die zur Normalität wird und die sich aber auch als Qualität verkauft, die sie nicht ist.
Die letzte Fragestellung des Stückes ist die nach der Authentizität des Fürsten selbst, die gestellt wird durch die Figur Jewgenij Pawlowitschs. Dies öffnet eine neue Tür für die Diskussion: Wann ist eine Idee wahr und gleichzeitig ehrlich und wann ist sie nur ein geistiges Konstrukt, das in eine Illusion, „eine Begeisterung des Geistes“ führt? Wovon hängt das authentische Gefühl und Handlung ab? War der Glaube des Fürsten an das absolute Mitleid mit Nastasja Filippowna in Wirklichkeit nur eine intellektuelle Idee, eine Illusion?
Der letzte Monolog des Fürsten behandelt ein Thema, das in seiner Konsequenz nicht bloß eine Idee, eine Illusion sein kann: Den Tod.
Der Inhalt:
Kabuki
Das Stück ist gestaltet und enthält Elemente nach dem Vorbild vom japanischen Kabuki-Theater:
Zeitgenösisches Spiel:Unter dem sogenannten „zeitgenösischem Spiel“ im Kabuki versteht man, im Gegenteil zum „historischem Spiel“, eine inhaltliche Wahl des Themas, das sich auf zeitnahe, aktuelle Geschehnisse gründet und die dunkle Seite der Gesellschaft darstellt. Die Sujets können von Mord, Skandalen und Ehebruch handeln. Formal ist es nicht zeremoniell wie das „historische Spiel“.
Tänze: Die Tänze stellen ein typisches Element im Kabuki-Theater dar und können eine Handlung betonen und sie kunstvoll ausgestalten.
Maske: Jeder Kabuki- Schauspieler definiert auch beim Make-up einen charakteristischen Zug seiner Rolle.
Musik: Die Musik (Live-Instrumente) ist ein Teil des Spektakels und begleitet die schauspielerische Handlung und Sprache. Der Rhythmus spielt eine große Rolle und wird teilweise von der Musik vorgegeben. Der hyogishi, der 'Auftakt' für die Auftritte der Schauspieler ist ein wichtiges Element des Kabuki.
Kostüm: Kimonos und Hakama-Hosen sind ein typisches Merkmal des Kabukikostüms.
Vorhänge: Vorhänge sind ein Teil der Kabuki -Inszenierung und werden dazu benutzt, neue Räume zu schaffen.